Es erscheint nicht selbstverständlich, auf einer international beachteten großen Ausstellung über Flucht, Vertreibung und Integration in Europa auf Appelhülsen zu stoßen. Die Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" fand im Jahr 2006 im Deutschen Historischen Museum in Berlin statt. Das Friedenshaus in Appelhülsen stand als ein Beispiel für die gelungene Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen Deutschlands und gleichzeitig für die damit einhergehende Entstehung von evangelischen Gemeinden im vormals rein katholischen Münsterland.
Das Friedenshaus in Appelhülsen
Appelhülsen, ein Dorf westlich von Münster, ist heute ein Ortsteil der Gemeinde Nottuln im Kreis Coesfeld mit 4.550 Einwohnern. Bis zur Kommunalreform 1974 war Appelhülsen selbstständige Gemeinde im damaligen Landkreis Münster – mit 807 Einwohnern im Jahr 1931. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Bevölkerung Appelhülsens mit dem Zuzug der Flüchtlinge und Vertriebenen wie in allen Städten und Gemeinden Westdeutschlands sprunghaft an. Die Besonderheit bestand darin, dass die Zugezogenen überwiegend evangelisch waren. Quasi über Nacht war in einem mit Ausnahme von zwei evangelischen Familien zuvor rein katholischen Ort eine evangelische Gemeinschaft entstanden, die danach stetig angewachsen ist und gegenwärtig 17% der Bevölkerung von Appelhülsen ausmacht (Tab. 1).
Verstärkt durch die wachsende Zahl der evangelischen Einwohner stellten sich Fragen nach ihrer kirchenorganisatorischen Zuordnung, nach ihrem Status, nach der seelsorgerischen Betreuung und schließlich einem Versammlungsort.
Die seit der Vorkriegszeit bestehende Zugehörigkeit der wenigen evangelischen Familien aus Appelhülsen zur Ev. Apostelkirchengemeinde in Münster wurde 1953 abgelöst durch eine Anbindung an die Ev. Kirchengemeinde Dülmen. Von 1972 bis 1988 folgte die Zuordnung zur Ev. Kirchengemeinde Münster-Roxel. Schließlich wurde Appelhülsen zusammen mit Schapdetten 1989 ein Gemeindebezirk der Ev. Friedenskirchengemeinde Nottuln-Billerbeck im Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken (KABl. 1989, S. 11). Der Status einer rechtlich eigenständigen Gemeinde wurde für Appelhülsen nicht erreicht. Der Gemeindebezirk entsendet dagegen eigene Vertreter in das Presbyterium nach Nottuln. Von Nottuln aus, dessen organisatorische Verbindung mit Billerbeck im Jahr 2004 aufgelöst wurde, erfolgt die seelsorgerische Betreuung, und dort ist die Verwaltung angesiedelt. Im evangelischen Zentrum von Appelhülsen finden regelmäßige Gottesdienste statt, und dort treffen sich die örtlichen evangelischen Gruppen.
Der erste evangelische Gottesdienstraum in Appelhülsen wurde von der katholischen Kirche St. Mariä Himmelfahrt bereitgestellt und befand sich im Schwesternheim am Kirchplatz. Im Laufe der Jahre folgten Unterbringungen in der ehemaligen Schule und sogar im alten Feuerwehrhaus. Schließlich fand sich im Spieker des ehemaligen Hofes Schulze Finkenbrink eine bleibende Heimstatt – das heutige evangelische Zentrum von Appelhülsen.
Der Hof Schulze Finkenbrink hatte zu den Althöfen Appelhülsens gezählt. Seine Entstehung steht ursächlich im Zusammenhang mit der Gründung der Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Appelhülsen durch die Edle Reinmodis. Die Kirche ist 1032 erstmalig urkundlich erwähnt (Ilisch 1980, S. 26f.; Lückmann 1985, S. 13). Vom älteren Haupthof war ein sog. Wehmhof abgetrennt worden, der zur Versorgung des Pfarrers diente und auch bis Mitte des 14. Jh.s dessen Wohnstätte war (Ilisch 1980, S. 30). Noch Reinmodis übertrug ihren Besitz in Appelhülsen dem Bischof von Münster, so dass der Wehmhof bis zur Säkularisation 1803 dem Domkapitel in Münster gehörte (ebd., S. 29). Die neuen Eigentümer modernisierten den Hof, der von einer Gräfte umgeben und von Eichen eingerahmt war, durch verschiedene Um- und Neubauten (Abb.1). Einzig der zweistöckige Spieker aus der zweiten Hälfte des 18. Jh.s blieb in seiner ursprünglichen Fachwerkbauweise erhalten. Die Familie Schulze Finkenbrink als letzte Eigentümerin hat das meiste Land in den 1950er Jahren als Bauland an die damalige Gemeinde Appelhülsen verkauft. Anfang der 1970er Jahre erfolgte der Verkauf des restlichen Hofgeländes.
Die evangelische Kirche nutzte die Gelegenheit und erwarb einen Teil der Hoffläche zusammen mit dem ehemaligen Spieker, dem ältesten Gebäude auf dem Hof und mittlerweile einem der ältesten Gebäude Appelhülsens. Während die übrigen Hofgebäude abgerissen wurden, baute man den Spieker zu einem Gotteshaus um. Dazu führte man eine umfangreiche bauliche Grundsanierung durch und verkleinerte das Gebäude auf der Nordseite um vier Gefache (Abb. 2). Die Fachwerkkonstruktion wurde beibehalten. Im Inneren wurde der Spieker entkernt, um einen Gottesdienstraum zu schaffen. Mit der Balkendecke und den hölzernen Stützpfeilern im Innenraum, den Sprossenfenstern und dem Fachwerk hob man bewusst die frühere Funktion dieses Hauses hervor (Abb. 3).
Mit Vollendung der Baumaßnahme 1976 waren die evangelischen Gemeindemitglieder endgültig in Appelhülsen angekommen. Sie hatten Wurzeln geschlagen an einer der Wurzeln des Ortes, und sie setzten gewissermaßen die ursprünglich kirchliche Tradition dieses Platzes fort. Dabei erinnerten sie an ein mittelalterliches Privilegium, wonach der Wehmhof ein "Friedensort" gewesen sein soll und nannten ihr Haus "Friedenshaus".
20 Jahre nach dem Erwerb des Spiekers war der evangelische Gemeindebezirk Appelhülsen, zu dem jetzt auch Schapdetten gehörte, so stark angewachsen (Tab. 1), dass eine Vergrößerung des Friedenshauses erforderlich wurde. Der Spieker wurde dazu um jene vier Gefache erweitertet, um die er gekürzt worden war, und hat damit äußerlich wieder seine ursprüngliche Größe. Daneben wurde ein Gemeindehaus errichtet, das eine Kinder- und Jugendbibliothek und ein Jugendzentrum enthält und als Versammlungsort dient – das sog. Jugendhaus. Das Ensemble aus ehemaligem Spieker und modernem Jugendhaus wird durch einen offenen Glockenturm abgerundet (Abb. 4). Entstanden ist so ein evangelisches Gemeindezentrum, das von der ehemaligen Gräfte einseitig umschlossen wird und bei dem die alten Eichen die beherrschende Kulisse abgeben. Umgebende Rasenflächen mit verschiedenen Gehölzen und Beeten geben dem Ganzen einen parkartigen Charakter und machen die Anlage mit dem Friedenshaus neben der katholischen Kirche und dem Bürgerzentrum zu einem dörflichen Mittelpunkt.
Beim Kauf des Geländes und dem Ausbau des Spiekers spielten Spenden der Gemeindemitglieder und die Erträge von Sammlungen eine wichtige Rolle. Besonders hervorzuheben ist ebenfalls die Spende der katholischen Kirchengemeinde St. Mariä Himmelfahrt. Bei der ursprünglichen Instandsetzung des Spiekers und der Herrichtung des umgebenden Geländes haben zudem die Gemeindemitglieder tatkräftig geholfen.
Neben den Gottesdiensten ist das evangelische Gemeindezentrum um das Friedenshaus Treffpunkt für Familien und Jugendliche, Gesprächskreise, Musizier- und Bastelgruppen. Über die kirchlichen Feste hinaus ist das Friedenshaus mit seinem Gottesdienstraum Veranstaltungsort für Konzerte, Lesungen und Ausstellungen. Seit dem Jahr 2012 gehört es zum Kreis der Radfahrkirchen Deutschlands und ist an Wochenenden ein Rastort in der Radfahrregion Münsterland. Alle Aktivitäten werden wesentlich von den Gemeindemitgliedern getragen. In Appelhülsen nimmt das vielfältige Gemeindeleben des Friedenshauses, das sich an alle Bürgerinnen und Bürger wendet, einen erkennbaren Platz ein.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Evangelische Kirchengemeinde Appelhülsen (Hg.) (2001): 25 Jahre Friedenshaus 1976–2001. o. O. | |
• | Gemeindebrief der Evangelischen Friedens-Kirchengemeinde Nottuln, Nr. 54/2013, S.24f. | |
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Ilisch, P. (1980): Grundlagen der Dorfentwicklung am Beispiel Appelhülsens. |
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• | KABl. Kirchliches Amtsblatt 1989, zitiert nach Evangelische Kirchengemeinde Appelhülsen (Hg.) (2001): 25 Jahre Friedenshaus 1976–2001. o. O., S. 41f. | |
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Lückmann, R. (1985): St Maria Himmelfahrt in Appelhülsen von 1032 bis 1823. |
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• | www.appelhuelsen.info | |
• | www.nottuln.de | |
• | www.unter-dem-kreuz.de |
Erstveröffentlichung 2014, Aktualisierung 2016