Der Berufspendlersaldo einer Stadt ist aus verschiedenen Perspektiven bedeutsam: Er lässt u. a. gewisse Rückschlüsse zu auf die wirtschaftliche Situation der Stadt, auf ihre allgemeine Attraktivität – auch als Wohnort, auf ihre zentralörtliche Bedeutung und auf die eventuelle Notwendigkeit bestimmter Verkehrsplanungen zwischen Stadt und Umland. Da bei all diesen Aspekten die größeren Städte eine wichtigere Rolle als die kleineren spielen und die grundsätzlichen Strukturen und Prozesse der Berufspendlerverflechtungen bis 2002 bereits dargestellt wurden (Brinkmann/Mielke 2007), soll es hier um die Pendlerzahlen speziell der westfälischen Großstädte gehen. Gerade ein solcher Städtevergleich kann Besonderheiten und spezifische Merkmale besonders deutlich werden lassen. Die Datenbasis bilden die Werte von 2011 des IT NRW.
Berufspendler in den westfälischen Großstädten 2011
Zu den Berufspendlern zählen alle Erwerbstätigen, also nicht nur die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, sondern auch die geringfügig Beschäftigten, die Beamten und die Selbstständigen.
Acht der insgesamt zwölf Großstädte Westfalens, also der Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern, gehören zum Ballungskern des Ruhrgebietes bzw. zu seiner Randzone. Für diese Städte stellte bzw. stellt der Strukturwandel eine große Herausforderung dar, für deren Bewältigung gerade auch die Pendlerzahlen zu den bedeutsamen Indikatoren zählen.
Die anderen vier Großstädte, nämlich Münster, Bielefeld, Paderborn und Siegen, sind solitäre Verdichtungsräume und Oberzentren, die von größeren, z. T. ländlich geprägten Räumen ohne Oberzentren umgeben sind.
In Bezug auf die absoluten Zahlen der Einpendler zeigt sich, dass die singulären Oberzentren Münster, Paderborn und Siegen in der Relation zu ihren Einwohnerzahlen sehr hohe Einpendlerzahlen aufweisen. In den Ruhrgebietsstädten beträgt das Verhältnis zwischen Stadtbewohnern und Einpendlern etwa 4,5 oder 5:1, in den Singulärzentren rund 3:1. Hier schlagen sich die unterschiedlichen Stadt-Umland-Beziehungen sehr deutlich nieder, wobei die Suburbanisierung – etwa aufgrund sehr hoher Bauland- und Mietpreise in Städten wie Münster – eine durchaus nennenswerte Rolle spielt.
Bei der Erfassung der Berufspendlerzahlen der Städte wird außer den absoluten Werten auch eruiert, aus welchen Orten die Einpendler kommen. Es zeugt von einer besonderen Stellung innerhalb des Städtesystems, wenn ein größerer Anteil der Einpendlerströme nicht nur aus den jeweils nahe gelegenen Städten des Umlandes kommt, sondern aus sehr vielen, auch weiter entfernten Orten. In Dortmund beispielsweise kommen 50% aller Einpendler aus den insgesamt 15 wichtigsten Herkunftsorten, in diesem Falle aus Lünen, Bochum, Castrop-Rauxel, Unna, Schwerte usw. Dagegen beträgt die entsprechende Quote in Bochum, Gelsenkirchen, Herne, Bottrop und Recklinghausen jeweils 70 bis 80%. Einen Wert unter 50 weist die Stadt Münster auf: Nur 47% der Pendler kommen hier aus den 15 wichtigsten Umlandgemeinden, z. B. aus Greven, Telgte, Senden, Nottuln usw. 53% der Einpendler kommen aus anderen, z. T. deutlich weiter entfernten Städten. Solche Werte sind nicht nur in Bezug auf das Städtesystem, die zentralörtlichen Strukturen und die Verflechtungsräume der Städte wichtig, sondern auch für die Verkehrs- und Parkraumplanungen.
Die Großstädte sind aber nicht nur das Ziel von Einpendlern, sondern es pendelt jeweils auch eine bestimmte Anzahl an Erwerbstätigen aus. Auf der Basis der entsprechenden Zahlen ist jedoch eine qualitative Differenzierung oder Hierarchisierung der Städte kaum möglich. Hohe Zahlenwerte bei den Auspendlern lassen sich nämlich für die Städte sowohl positiv als auch negativ deuten: Einerseits könnte man schlussfolgern, dass die Stadt nicht hinreichend viele Arbeitsmöglichkeiten anbietet. Es könnte aber auch sein, dass eine Stadt als Wohnstandort so attraktiv ist, dass die Menschen hier wohnen bleiben, auch wenn sie zur Arbeit dann nach außerhalb pendeln müssen. Auch die räumliche Nähe zu sehr bedeutenden anderen Wirtschaftszentren kann sich auswirken, so wie dies beispielsweise für Bochum und Gelsenkirchen durch die Stadt Essen der Fall ist.
Eine deutliche Rangstufung lassen hingegen die Pendlersalden zu. Der Pendlersaldo, also die Differenz aus der Anzahl der Ein- und der Auspendler, gibt u. a. Hinweise auf die Wirtschaftskraft einer Stadt. Den höchsten positiven Saldo, also Einpendlerüberschuss, weist die Stadt Münster auf, gefolgt von Dortmund. Die Städte Hagen, Gelsenkirchen oder Bochum haben einen nur relativ geringen positiven Saldo. Die Wirtschaftsstruktur dieser Städte kann in der gegenwärtigen Phase des Strukturwandels offensichtlich mit den Positivmerkmalen Dortmunds nicht mithalten. Noch größere Defizite weisen in dieser Hinsicht aber Bottrop, Hamm, Herne und Recklinghausen auf. Hier führen höhere Aus- als Einpendlerzahlen sogar zu einem negativen Pendlersaldo. Die Bemühungen um eine positive strukturelle Entwicklung schlagen sich in diesen – in Bezug auf die Einwohnerzahl kleineren – Städten momentan zumindest in den Berufspendlerzahlen noch nicht nieder.
Die Solitärzentren Bielefeld, Paderborn und Siegen profitieren hingegen von ihrer unangefochtenen Stellung im jeweiligen Umland.
Die Bedeutung von Dortmund und Münster als Wirtschaftszentren wird auch noch einmal deutlich, wenn man die Gesamtzahl der Erwerbstätigen in diesen Städten betrachtet. Diese errechnet sich jeweils aus der Summe derjenigen, die in der entsprechenden Stadt sowohl arbeiten als auch wohnen, also den sog. innergemeindlichen Pendlern, und den Einpendlern. "Schlusslichter" sind in dieser Hinsicht Herne, Recklinghausen und Bottrop. Dort sind also besondere Anstrengungen zur Schaffung weiterer Arbeitsplätze nötig.
Eine letzte, interessante Perspektive eröffnet sich bei der Betrachtung der sog. Auspendlerquote. Sie bezeichnet den prozentualen Anteil der Auspendler an den Erwerbstätigen am Wohnort. Wenn dieser Wert beispielsweise in Münster 24,7 beträgt, so bedeutet dies, dass auf 100 Personen, die in Münster sowohl wohnen als auch arbeiten, 24,7 Auspendler aus Münster kommen. Der Wert ist speziell in Münster sehr gering, weil es offenbar nur wenige Münsteraner zur Arbeit nach außerhalb zieht. Die Stadt bietet attraktive Erwerbsmöglichkeiten für sehr viele, unterschiedliche Menschen. Ganz anders etwa in Herne, Bottrop oder Recklinghausen, wo die Auspendlerquoten 56 bzw. 57% betragen.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Brinkmann, W., A. Dittrich-Wesbuer, B. Mielke (2007): Pendelverflechtungen in Nordrhein-Westfalen. Strukturen, Entwicklungen, Einschätzungen. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 2/3. Bonn, S. 93–104 | |
• | Brinkmann, W., B. Mielke (2007): Berufspendelverflechtungen in Westfalen. In: Heineberg, H. (Hg): WESTFALEN REGIONAL. Münster, S. 92f. | |
• | Guth, D., C. Holz-Rau, M. Maciolek (2010): Indikatoren für Berufspendelanalysen. Datengrundlagen und Anwendungsbeispiele. In: Raum und Mobilität. Arbeitspapiere des Fachgebiets Verkehrswesen und Verkehrsplanung der TU Dortmund, Nr. 18. Dortmund | |
• | Guth, D., C. Holz-Rau, M. Maciolek, J. Scheiner (2010): Beschäftigungssuburbanisierung, Siedlungsstruktur und Berufspendelverkehr – Ergebnisse für deutsche Agglomerationsräume 1999–2007. In: Raumforschung und Raumordnung, Nr. 68, Heft 4. Heidelberg, S. 283–295 | |
• | IHK Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen (Hg.) (2009): Der Weg zur Arbeit – Pendlerströme in Nord-Westfalen. Struktur, Entwicklung und regionalpolitische Schlussfolgerungen. Münster | |
• | IT NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2012a): Pendlerrechnung Nordrhein-Westfalen, korrigierte Version vom 26.11.2012. Düsseldorf | |
• | IT NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2012b): Pendlerrechnung Nordrhein-Westfalen. Methodenbeschreibung. Düsseldorf | |
• | www.it.nrw.de |
Erstveröffentlichung 2013, Überarbeitung 2014