Berufsausbildung im dualen System: neu abgeschlossene Ausbildungsverträge 2024 in Westfalen
Viele Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt
Immer wieder ist in den Medien von Fachkräftemangel die Rede – und von Problemen für Betriebe, Lehrstellen zu besetzen. Die Bertelsmann-Stiftung z.B. veröffentlichte am 15.01.2025 die Ergebnisse einer Befragung zum Thema "Jugendliche im Übergangssektor". Zwei Kernsätze aus der Zusammenfassung lauten: "Fast 70.000 Ausbildungsplätze blieben in Deutschland im Jahr 2024 unbesetzt" […]. "Die Quote der Ungelernten zwischen 20 und 34 Jahren ist mittlerweile auf knapp 20 Prozent gestiegen, was fast drei Millionen Menschen entspricht."
Bereits am 08.08.2024 meldete die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), dass 49% der Betriebe im IHK-Bereich nicht alle Ausbildungsplätze für das Jahr 2023/24 hätten besetzen können, rd. 30.000 Betriebe hätten – trotz Suche – keine einzige Bewerbung erhalten.
Diese für Deutschland insgesamt geltenden Probleme werden auch in Westfalen tendenziell bestätigt. Die IHK Nord-Westfalen etwa schrieb im Juni 2025: "Der Mangel an Auszubildenden ist groß: Im September letzten Jahres blieben in Nord-Westfalen von den 18.772 gemeldeten Ausbildungsstellen 1.086 unbesetzt."
Dass die Betriebe inzwischen mit dem demographischen Problem kleiner werdender Jahrgänge der Jugendlichen zurechtkommen müssen, ist bekannt. Das Potenzial an Auszubildenden im dualen Bereich, also der Kombination von betrieblicher Ausbildung und Berufsschule, wird schon rein zahlenmäßig geringer. Aber dies erklärt die Schwierigkeiten nur zum Teil. Eine große Rolle spielen neben der gesamtwirtschaftlichen Unsicherheit auch – zumindest sektoral – ein geringer werdendes Bestreben der Jugendlichen, eine solche Ausbildung zu beginnen, sowie die Tatsache, dass Betriebe offenbar zunehmend eine für ihre Bedürfnisse nicht ausreichende Eignung der Jugendlichen konstatieren. Letzteres trägt mit dazu bei, dass ein beträchtlicher Anteil der Jugendlichen die begonnene Ausbildung vorzeitig beendet oder beenden muss (s. Beitrag Wittkampf).
Im Folgenden liegt der Fokus jedoch auf den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen.
Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge
In Westfalen wurden 2024 insgesamt 51.447 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen, davon 57,4% im Sektor Industrie und Handel sowie 27,7% im Handwerk. Der übrige Anteil von 14,9% entfiel auf die Landwirtschaft, den öffentlichen Dienst, die freien Berufe und sonstige Sparten (IT.NRW 2025, eig. Berechn.).
Auf den Bereich Industrie und Handel entfielen in den industriell starken südwestfälischen Kreisen Siegen-Wittgenstein (67,8%) und Olpe (65,8%) die jeweils größten prozentualen Anteile. In Bezug auf das Handwerk lagen die Kreise Coesfeld (40,5%) und Borken (36,4%) im westfälischen Vergleich vorne. In Münster dagegen begannen nur 19,6% der Auszubildenden eine handwerkliche Lehre.
Tabelle 1 macht im Zehnjahresvergleich der Jahre 2014 und 2024 deutlich, welche gravierenden Veränderungen sich in diesem Zeitraum bei der Gesamtzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ergeben haben. Im Jahr 2024 wurden insgesamt 8,3% weniger Verträge abgeschlossen als 2014. Wenn nicht die wachsende Anzahl ausländischer Auszubildender den Rückgang etwas abgemildert hätte und wenn nur die neuen Auszubildenden mit deutscher Staatsangehörigkeit gezählt würden, läge der Rückgang bei über 14%.
Auffällig ist zudem die besonders starke Abnahme gerade bei den weiblichen Nachwuchskräften. Hier machen sich u.a. die Probleme des Berufsalltags besonders bemerkbar, die gerade in einigen "typischen Frauenberufen" in letzter Zeit verstärkt dazu führten, dass diese Berufe viel stärker gemieden werden als noch vor Jahren. Hierzu zählen z.B. Beschäftigungen in der Kranken- und Altenpflege, im Einzelhandel, in den Kindergärten oder im Hotel- und Gaststättenwesen. Laut IT.NRW (2023) ging die Zahl der Auszubildenden von 2013 bis 2022 beispielsweise im Lebensmittel-Einzelhandel um 59,7% zurück, im Friseurhandwerk um 43%.
Das Potenzial an Auszubildenden – qualitative Aspekte
Die Betriebe beklagen aber auch immer häufiger Defizite bei grundlegenden Fähigkeiten der Auszubildenden, etwa in Deutsch und Mathematik, außerdem bei "Soft Skills" (v.a. Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit). Der Zentralverband des Deutschen Handwerks sprach 2024 von einem "zunehmenden Unterstützungsbedarf der Auszubildenden aufgrund zunehmender Lernlücken bei Schulabgängerinnen und -abgängern". Und in einer Umfrage der DIHK (2025) wurden "Defizite in der grundlegenden Leistungsfähigkeit sowie im Arbeits- und Sozialverhalten der jungen Menschen" beklagt. Die "Tagesschau" (31.07.2025) beruft sich auf die DIHK und berichtet, 87% der Unternehmen, die die Lehrstellen nicht besetzen können, beklagten neben Defiziten in schulischen Leistungen auch "Mängel bei den Ausbildungsvoraussetzungen – insbesondere bei Belastbarkeit, Disziplin, mentaler Leistungsfähigkeit sowie Leistungsbereitschaft und Motivation".
Das Potenzial an Auszubildenden – quantitative Aspekte
Um die Gesamtproblematik zu erfassen, muss außer der Eignung der Jugendlichen natürlich auch die potenzielle Zahl an zusätzlichen Auszubildenden betrachtet werden. Im Folgenden wird hierfür die Anzahl der Schulabgänger aus weiterführenden Schulen je Kreis bzw. kreisfreier Stadt zugrunde gelegt, wobei Abiturienten nicht mitgezählt werden. Dies ist methodisch zwar aus mehreren Gründen problematisch, da ja auch Abiturienten eine Berufsausbildung im dualen System beginnen können. Auch kann es sein, dass man zur Ausbildung in einen anderen Kreis geht. Dennoch ist es aufschlussreich, die Relation zwischen der jeweiligen Zahl der Schulabgänger und der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zu betrachten. Dies soll im Folgenden für das Jahr 2024 geschehen.
In Westfalen wurden 2024 insgesamt 51.447 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen (s.o.), die Anzahl der Schulabgänger (ohne Abiturienten) betrug dagegen insgesamt 56.295. Auf 100 Schulabgänger entfielen also – rein rechnerisch – 91,4 neue Ausbildungsverträge. Hiervon unterschied sich in den westfälischen Kreisen und Städten das Verhältnis jedoch z.T. deutlich (Abb. 1). In Gelsenkirchen standen 100 Schulabgängern lediglich 58,9 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge gegenüber, in Herne 67,9, in Münster dagegen 163,4. Für Gelsenkirchen ist eine Meldung der WAZ vom 10.08.2025 aufschlussreich: "Azubis ohne richtiges Deutsch: Betriebe schlagen Alarm […] Gelsenkirchener Firmen bilden weniger aus." In Münster dagegen konnte man 2024 den Bedarf an Auszubildenden offenbar aus den umliegenden Kreisen decken. Aus Abbildung 2 lässt sich entnehmen, dass nur etwas mehr als 48% der Auszubildenden bereits vor Beginn ihrer Ausbildung in Münster wohnten. Zum Vergleich: Im Märkischen Kreis und im Kreis Steinfurt wohnten 85,9% der Auszubildenden schon vor Ausbildungsbeginn dort, im Kreis Borken waren es 83,4%.
Weiterführende Literatur/Quellen
-
Bertelsmann-Stiftung (Hg.) (2025): Junge Menschen könnten schneller und besser ins Berufsleben starten. (Meldung vom 15.01.2025)
(https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2025/januar/junge-menschen-koennten-schneller-und-besser-ins-berufsleben-starten; abgerufen am 29.08.2025) -
Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) (Hg.) (2024): DIHK-Umfrage: Azubi-Mangel weitet sich aus. (Meldung vom 08.08.2024)
(https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/fachkraefte/aus-und-weiterbildung/ausbildung/ausbildungsumfrage-24/dihk-umfrage-azubi-mangel-weitet-sich-aus--119362; abgerufen am 29.08.2025) -
Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) (Hg.) (2025): DIHK-Ausbildungsumfrage 2025.
(https://www.dihk.de/resource/blob/134924/bdb84058e435cc14ccadc376629753c4/fachkraefte-dihk-ausbildungsumfrage-2025-data.pdf; abgerufen am 29.08.2025) -
Industrie- und Handelskammer Nord-Westfalen (Hg.) (2025): Azubi-Mangel: Wie Unternehmen mit der Situation umgehen. (Meldung vom 08.06.2025)
(https://www.ihk.de/nordwestfalen/wirtschaftsspiegel-online/fachkraeftesicherung/azubimangel-5810920; abgerufen am 29.08.2025) -
IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2023): Neun Prozent weniger Auszubildende im NRW-Handwerk als vor zehn Jahren. (Pressemeldung vom 07.12.2023)
(https://www.it.nrw/neun-prozent-weniger-auszubildende-im-nrw-handwerk-als-vor-zehn-jahren-125840, abgerufen am 28.08.2025) -
IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2025): Berufsbildungsstatistik: Auszubildende mit neu abgeschlossenem Ausbildungsvertrag.
(https://www.landesdatenbank.nrw.de/ldbnrw//online?operation=table&code=21211-02i&bypass=true&levelindex=0&levelid=1756364347278#abreadcrumb; abgerufen am 28.08.2025) -
Tagesschau (31.07.2025): Jeder vierte Betrieb plant mit weniger Azubis.
(https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/ausbildungsplaetze-reduziert-rezession-100.html; abgerufen am 29.08.2025) -
WAZ Westdeutsche Allgemeine Zeitung (10.08.2025): Azubis ohne richtiges Deutsch: Betriebe schlagen Alarm.
(https://www.waz.de/lokales/gelsenkirchen/article409689481/azubis-ohne-richtiges-deutsch-betriebe-schlagen-alarm.html; abgerufen am 29.08.2025) -
Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) / Born, V. (2024): Ausbildungsqualität.
(https://www.zdh.de/themen-und-positionen/zdh-positionen/zdh-kompakt/ausbildungsqualitaet/, abgerufen am 29.08.2025) -
https://statistik.nrw/service/veroeffentlichungen/mobilitaet-auszubildender
-
https://www.westfalen-regional.de/de/ausbildungsvertraege
Erstveröffentlichung 2025