Stadtumbau in Herten – ein Beispiel für die Herausforderung der Stadtentwicklung im nördlichen Ruhrgebiet

01.01.2010 Wolfgang Seidel

Inhalt

Herten verzeichnet wie andere Städte des Ruhrgebietes auch seit Mitte der 1990er Jahre einen kontinuierlichen Bevölkerungsrückgang: Zählte die Stadt im Jahr 1977 noch 70.000 Einwohner, so ist die Bevölkerungszahl auf derzeit etwa 63.000 Einwohner gesunken und wird bis zum Jahr 2020 laut Prognosen weiter auf ca. 59.000 Einwohner schrumpfen.

Zum einen hat der Rückzug des Bergbaus zu massiven Arbeitsplatzverlusten geführt. Herten als ehemals größte Bergbaustadt Europas hat seit April 2000 keine fördernde Schachtanlage mehr. Insgesamt sind im Bergbau seit 1980 ca. 12.500 Arbeitsplätze abgebaut worden (Höchststand 1957: 16.000 Bergbaubeschäftigte); damit ist etwa jeder zweite Arbeitsplatz durch den Rückzug des Bergbaus in Herten verloren gegangen. Hinzu kommen nicht konkret bezifferbare Arbeitsplätze in den vorgelagerten und nachgeordneten Branchen (sog. Sekundärarbeitsplätze). Einher geht dieser einschneidende Verlust mit einer gravierenden Verschiebung der Erwerbs-, Alters- und Sozialstruktur in der Stadt. Wanderungsverluste in die nördlich angrenzenden Städte und Gemeinden haben diesen Prozess verschärft.

Zum anderen ist diese Entwicklung überlagert worden durch die allgemeine demographische Veränderung mit einem stetigen Bevölkerungsrückgang und einer Überalterung der Bevölkerung. Das nördliche Ruhrgebiet durchlebt diesen Prozess aufgrund seiner Struktur besonders intensiv (s. Beitrag Reiche).

Herten steht damit mitten in einem grundlegenden Stadtumbau. Neben der Zukunftsgestaltung und Vision für die wirtschaftliche Basis, die auf die plakative Formel gebracht werden kann "von der alten zur neuen Energie – von der Kohle- zur Wasserstoffstadt", geht es vor allem um die Stabilisierung und Zukunftsentwicklung in den besonders betroffenen Stadtteilen; dort sind die Auswirkungen – je nach unmittelbarer Prägung durch den Bergbau – unterschiedlich gravierend. Integrierte Handlungskonzepte auf der Grundlage städtebaulicher Förderung sind dabei das zentrale Steuerungs- und Entwicklungsinstrument.

Das Beispiel ''Integriertes Handlungskonzept Herten-Süd''

Seit Juni 2005 läuft der erste dieser Prozesse im Stadtteil Herten-Süd, einem besonders betroffenen Stadtteil, der durch die Nähe zur Zeche Ewald mit ehemals über 4.000 Beschäftigten geprägt worden war und von ihr "gelebt" hat.

Der Stadtteil Herten-Süd verzeichnet einen besonders hohen Bevölkerungsverlust – von 1982 bis 2010 von 13.682 auf 11.392 Einwohner, was einen Rückgang von 16,7% bedeutet. Der Rückzug des Bergbaus hat sich in diesem Stadtteil städtebaulich und wirtschaftlich sichtbar ausgewirkt. Leerstände und "Trading down", sanierungsbedürftige Immobilien und unerwünschte Nutzungen beeinflussen das Straßenbild entlang der Hauptverkehrsachsen. Sozialräumlich ist der Stadtteil darüber hinaus geprägt durch einen überdurchschnittlichen Anteil älterer Menschen, sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen und Menschen mit Migrationshintergrund. 40% der 3- bis 6-jährigen Kinder stammen aus dieser Bevölkerungsgruppe; der städtische Durchschnitt beträgt ca. 25 %.

Das integrierte Handlungskonzept ist Grundlage, um die öffentliche Infrastruktur und die wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern in einem Stadtteil, der ohne konzertierte Gegensteuerung "umzukippen" drohte. Dementsprechend vielgestaltig sind die Projektbausteine, die unter dem Slogan "Süd erblüht" aufgestellt sind. Sie sind in einem breit angelegten kontinuierlich laufenden Beteiligungsprozess mit Stadtteilbegehungen und -konferenzen, Zukunftswerkstätten und Dialogreihen und in ständiger intensiver Kooperation der Stadt mit Vereinen, Kirchen und Verbänden erarbeitet, dann vom Rat der Stadt Herten jeweils durch Beschluss verabschiedet und zur Förderung angemeldet worden. Sie umfassen Maßnahmen zur städtebaulichen Aufwertung von Geschäfts- und Wohngebäuden, zur Umnutzungen von nicht oder unterwertig genutzten Immobilien entlang von Hauptverkehrsstraßen und zur Entwicklung freiwerdender Grundstücke ebenso wie soziale Maßnahmen im Bereich der Integration, der Jugend- und Seniorenarbeit, in Ordnungspartnerschaften und in der Kultur und Öffentlichkeitsarbeit.

Als wesentlicher Baustein zur Erneuerung der Infrastruktur und des Städtebaus für Herten-Süd ist der Umbau der beiden Hauptverkehrsstraßen im Stadtteil – der Ewaldstraße und der Herner Straße – zu sehen. Im Nutzungsmanagement kooperieren Behörden, Eigentümer, Kammern, Banken – gesteuert durch ein von der Stadt beauftragtes externes Büro – mit der Zielsetzung, Haus- und Hofflächen zu sanieren, neue Nutzungen in leeren Gebäude zu etablieren und Existenzgründungen zu fördern. Das Quartiersmanagement konzentriert sich auf sozialräumlich besonders auffällige Wohnquartiere und versucht unter dem Motto "Gute Nachbarschaft im Viertel" durch Bewohneransprache und gemeinschaftliche Aktivitäten soziale Konflikte ab zubauen, Integration zu fördern, speziell Kinder und Jugendliche anzusprechen und so die Gemeinschaft zu stärken. Die Integration von Migrantinnen und Migranten steht unter der Überschrift "Viele Kulturen, ein Leben"; in zahlreichen kleinen Aktionen wird der Fokus insbesondere auf Bildung, Kommunikation und Gemeinschaftssinn gelegt. Mit der mobilen Jugendarbeit sollen den Kindern und Jugendlichen im Stadtteil durch außerschulische Beratungs- und Freizeitangebote neue Perspektiven gegeben werden. Intensiv in diese Maßnahmen ist das bürgerschaftliche ehrenamtliche Engagement im Stadtteil eingebunden. Ziel ist es, selbstregulierende Strukturen für diesen Entwicklungsprozess zu erlangen.

Das für die Jahre 2005–2013 angelegte Programm in Herten-Süd umfasst ein förderfähiges Finanzierungsvolumen von ca. 8,8 Mio. €. Der Eigenanteil der Stadt beträgt daran ca. 1,8 Mio. €, die Förderung 6,2 Mio. €; der Rest sind Fremdmittel. Gefördert wird aus dem Topf des Bund-Länder-Programms "Stadtumbau-West". In diesem Volumen nicht enthalten sind die Aufwendungen für den Umbau der beiden Hauptverkehrsstraßen.
 

Abb. 1: Stadtumbaugebiete in Herten (Quelle: Stadt Herten)

Weitere Umbaugebiete in Herten

Vergleichbare Problemlagen und Herausforderungen zeigen sich in den ebenfalls vom Bergbau geprägten Stadtteilen Herten-Langenbochum und -Paschenberg im Umfeld der ehemaligen Schachtanlage "Schlägel&Eisen" im nördlichen Stadtgebiet und in den Stadtteilen Herten-Westerholt und -Bertlich in der Nachbarschaft zur ehemaligen Schachtanlage "Westerholt". Die gewonnenen Erfahrungen in Herten-Süd lassen sich vor allem in methodischer Hinsicht dort gut anwenden.

Seit dem Jahr 2008 gibt es die erforderlichen Beschlüsse für das "Integrierte Handlungskonzept Nord", in dessen Mittelpunkt die Reaktivierung der Zechenbrache "Schlägel&Eisen" steht mit dem Ziel, städtebauliche und Stadtteil-ökonomische Akzente zu setzen und damit der Bevölkerung im Stadtteil neue Lebensqualität zu sichern. Auch hier enthält das Handlungskonzept daneben auch soziale und kulturelle Maßnahmen. Die Förderung hat im Jahr 2009 begonnen und erfolgt bis voraussichtlich 2014 aus dem Programm EFRE (Europäischer Fond für regionale Entwicklung) der Europäischen Union (Förderung der sog. "Ziel-2-Gebiete"). Das Finanzvolumen ist auf 9,2 Mio. € projektiert; hinzu kommen ca. 12,5 Mio. € für die Reaktivierung der Zechenbrache, die aus dem von Bund und Ländern kofinanzierten Regionalen Wirtschaftsförderungsprogramm gefördert werden.

Bereits vor der Stilllegung des Bergwerkes "Westerholt" Ende 2008 haben sich die davon betroffenen Nachbarstädte Gelsenkirchen und Herten auf eine gemeinsame Vorgehensweise in der Zukunftsgestaltung ihrer betroffenen Ortsteile verständigt und im Jahr 2009 das "Interkommunale integrierte Handlungskonzept Gelsenkirchen-Hassel/Herten-Westerholt und -Bertlich" verabschiedet. Es ist das bisher einzige interkommunale Handlungskonzept in NRW und insofern modellartig. Im Mittelpunkt steht hier ebenfalls die Reaktivierung der Zechenbrache mit dem thematischen Schwerpunkt "berufliche Bildung" für örtliche und überörtliche Bedarfe. Die Förderung wird aus EFRE-Mitteln erfolgen. Für die Umsetzung zunächst im Zeitraum 2010–2013 sind ca. 14,7 Mio. €. veranschlagt und von den Städten Gelsenkirchen und Herten zur Förderung angemeldet. Bei einer Förderung von ca. 11,8 Mio. € verbliebe bei den Städten ein Eigenanteil von ca. 2,9 Mio. €. Das Projekt wird im Jahre 2013 sicher noch nicht abgeschlossen sein (Abb. 1).

Ebenfalls Teile des langfristig angelegten Stadtumbauprozesses in Herten sind die im Wesentlichen bereits abgeschlossenen Projekte "Landschaftspark Hoheward", gemeinsam mit der Stadt Recklinghausen und dem Regionalverband Ruhr (s. Beitrag Seidel), und "Zukunftsstandort Ewald", gemeinsam mit der Ruhrkohle AG. Beide Projekte haben den Hertener Süden neu gestaltet. In der Innenstadt Hertens ist das Projekt "Parkpflegewerk für den Schlosspark Herten" in den Jahren 2008–2010 umgesetzt worden. Es dient der Zukunftssicherung des frühen historischen Erbes der Stadt, dem im Ruhrgebiet in seiner Prägung einzigartigen Schlosspark mit dem Wasserschloss Herten.

Beispiel für den Stadtumbau im nördlichen Ruhrgebiet

Es zeigt sich, dass im Stadtumbau in Herten nicht die einzelne Maßnahme für einen Erfolg steht, sondern das Bündel aufeinander bezogener und ineinander greifender Bausteine und Aktivitäten entscheidend ist, entwickelt und umgesetzt aus einem Netzwerk von zahlreichen Akteuren, ausgerichtet auf strategische Entwicklungslinien und geprägt von einer "realen" Vision.

Zu dieser "realen" Vision gehört es auch, die großen Finanzierungsvolumina, die beispielhaft für die Integrierten Handlungskonzepte beschrieben worden sind, beachten und aufbringen zu müssen – dies vor dem Hintergrund der äußerst engen Spielräume in den öffentlichen Finanzen im Allgemeinen und dem kommunalen Haushalt der Ruhrgebietsstadt Herten im Besonderen.

Angesichts vergleichbarer Situationen in anderen Städten insbesondere des nördlichen Ruhrgebietes steht das "Hertener Modell" beispielhaft für die Herausforderungen zukünftiger Stadtentwicklung in dieser Region.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007, Aktualisierung 2010